WIENER AKTIONISMUS

„INTERNATIONALITÄT ALS GENERALLINIE“

Martin Büsser im Gespräch mit Arnulf Meifert (Ex-FAUST)

Regensburg/Mainz 1998, in:
ANTIPOP
(Hg. Martin Büsser, Ventil Verlag, Mainz 1998)
(Auszüge)

„Warum ich vom Wiener Aktionismus, speziell von der Arbeit des Günter Brus, gleich nach meiner Zeit bei Faust begeistert war, erklärt sich auch durch die sogenannte Uni-Aktion von 1968, dem größten Skandal der Alpenrepublik nach Kriegsende. Ihr Titel „Kunst + Revolution“ wurde von mir auf Anhieb als eine Einheit verstanden, die sich wechselseitiger Durchdringung verdankt: keine Kunst ohne den Mut, verkrustete Ideen aufzubrechen, keine Revolution ohne die vielen Dinge, die Kunst ausmachen – schon um die jeweils üblichen Blutbäder zu vermeiden. Kunst darf und braucht sich mit den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen ebenso wenig zu arrangieren, wie sie sich künstlich abmühen muß, um Schock und Aufsehen zu erregen. (...)
In der Tat sind in die gesamte Zusammenarbeit mit Günter Brus alle meine vorherigen Tätigkeiten eingeflossen, meine Theaterarbeit, die als Musiker, mein Universitätsstudium, meine lebenslange Beschäftigung mit Literatur und Kunst und der Vielzahl der sogenannten trivialen Genres. Seit 1970 war ich mit ihm in lockerem Kontakt, 1973 gründeten wir das 1. Deutsche Trivialeum, in dessen Rahmen heute Franziska und ich zu allen möglichen Themen forschen und arbeiten. Das Ergebnis sind Aufsätze, Vorträge, Bild-Schauen, Ausstellungen, Bücher ... Uns haben es die grenzüberschreitenden Themen angetan, Schnittstellen von Sexualität und Religion, Hoch- und Trivialkunst, Mythos und Aufklärung. (...)
In der Beziehung zu Brus wurde ich zum heftigen Sammler, der die Familie unterstützte, zum Rezitator, Verleger, Herausgeber usw. Das sind aber noch immer Zunftbezeichnungen und somit verfälschende Einengungen für eine lebendige, aktive Zusammenarbeit, bei der jegliches Geben und Nehmen eins war. Ich möchte darüber nicht allzu viel sagen, teils kann man das anderweitig nachlesen, teils sollen andere sich da einarbeiten und unsere mehr oder minder abgeschlossene Geschichte darstellen, denn diese endete 1996, nach 25 Jahren, unter Umständen, die, alles in allem, denen bei der Trennung von Faust nicht ganz unähnlich waren: Intrigen, Machtspiele, wieder einmal stand ich unbequem im Weg, diesmal gewissen Interessen seiner direkten Umgebung. Und auch hier hatte ich selbst keinen Grund des Ausharrens mehr, da Brus von der Kriechspur des Untergrundes auf die Überholspur der Mainstream-Karriere wechseln wollte, nach seinen eigenen Worten. Für eine Vermarktung à la Coca Cola, wie er sie auf dem Höhepunkt der Trennung mir gegenüber propagierte, war ich nicht zu haben. So war das Ende unserer Seilschaft zwangsläufig. Zusammenarbeit war von jeher die Hauptstärke menschlicher Evolution, die Ego-Spiele der Moderne haben sich auch in der Kunst überlebt. Insofern war sein Versuch, meinen kreativen Anteil an seiner Arbeit auszugrenzen, ja, zu negieren, nicht nur unzeitgemäß, sondern auch unnötig, da er die Eigenwertigkeit des 1. Deutschen Trivialeums in unserer künstlerischen Zusammenarbeit all die Jahre über anerkannt und betont hat.
Natürlich hatte und hat es unser Projekt bei der Selbstdarstellung schwerer als ähnliche Unternehmungen abseits der üblichen Wege der Kunst, da in der Regel keine verkäuflichen ‚Werke’ am Ende der kreativen Arbeit stehen. Zusätzlich wird die Rezeption z.B. bei Boltanski und anderen ‚Deep Storage’-Künstlern durch Reduzierung auf einen bestimmten Aspekt maßgeblich erleichtert. Unsere ‚Arsenale der Erinnerung’ beschränken sich eben nicht nur auf einen oder wenige ausgewählte Bereiche, die ihre Aura erst durch das entsprechende Styling im Rahmen der Ausstellungsinstallation bekommen und jenseits davon auf einen Haufen Fotos oder Fundstücke zurückschrumpfen. Unser Netzwerk materialisierter Ideen lässt sich nicht ins Korsett einer Ausstellung pressen, wiewohl aus diesem Rhizom unzählige Ausstellungen und andere Vorhaben wie Pilze wachsen könnten. Meine, unsere Arbeit im Projekt geht jedenfalls ohne Einschränkungen weiter, (...).“
Nachtrag 2007:
Zehn Jahre, nachdem Brus angefangen hat, mich durch die Gerichte zu schleifen, dabei mehrere Anwälte verbrauchend, ist das Ergebnis 70 zu 30 für mich. Es wurde Geld in einer Höhe „verbrannt“, mit dem man zumindest alle seine literarischen Werke und Bild-Dichtungen hätte drucken können. Was bleibt, ist die triviale Erkenntnis, dass man eben zwischen Person und Profession/Werk strikt trennen muß ...